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Ein auf den ersten Blick langweiliger britischer Jeton
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Autor:  KarlAntonMartini [ 15. Nov 2011, 16:03 ]
Betreff des Beitrags:  Ein auf den ersten Blick langweiliger britischer Jeton

Die Jetons vom Typ der Guineas Georgs III, vorn mit Porträt des Königs und hinten mit dem Wappen sind ja sehr häufig und mit Ausnahme der zeitgenössischen Stücke gelten sie als Massenware und keines zweiten Blicks wert. Heute hatte ich so ein Stück in der Post, es stammt von e-bay uk und dort war mir nur das Datum 1877 aufgefallen, ungewöhnlich, weil diese Prägungen sonst immer 1797 oder früher bezeichnet sind. Die Umschrift lautet: MISS E. THOMPSONS FOUR PICTURES ON VIEW AT 148 NEW BOND ST. 1877. - Also eine Werbemarke, aber wofür? Und vier Bilder - mein erster Gedanke war: erotisches Photostudio der späten Victorianer? Auch Google war wenig auskunftsfreudig und zunächst hatte ich Emily Thomson, die Illustratorin der Alice in the Wonderland im Visier. Aber das paßte nicht. Also eine Malerin? Und so berühmt, daß man Werbejetons prägte. Gefunden habe ich dann Elizabeth Butler, geb. Thompson. (1844-1933) Sie heiratete im Sommer 1877. Sie war und ist tatsächlich eine berühmte Malerin und war spezialisiert auf Kriegsbilder. 1874 stellte sie ihr Bild "The Roll Call" in der Royal Academy aus und wurde mit einem Schlag berühmt, Queen Victoria kaufte das Bild: http://www.britishbattles.com/crimean-w ... l-call.jpg
Die 1876 gegründete Kunsthandlung The Fine Art Society, 148 New Bond Street (natürlich ist die heute noch dort), nahm die Künstlerin mit ihren nächsten Bildern unter Vertrag und sie ließ auch den Werbetoken prägen. 1879 entstand das wohl bekannteste Gemälde dieser Künstlerin, das den einzigen Überlebenden (von 16.500 Mann) der britischen Kabul-Operation zeigt: http://www.tate.org.uk/collection/N/N01/N01553_9.jpg Das Bild hängt heute in der Tate-Gallery. Dann noch das Bild des schäbigen Jetons:

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GuineaThompson2.jpg
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Autor:  Afrasi [ 15. Nov 2011, 20:04 ]
Betreff des Beitrags:  Re: Ein auf den ersten Blick langweiliger britischer Jeton

Immer wieder schön, was man/Du aus zunächst unscheinbaren Stücken herausholen kann/st!

Vielen Dank!

Autor:  Ginkgo [ 15. Nov 2011, 21:09 ]
Betreff des Beitrags:  Re: Ein auf den ersten Blick langweiliger britischer Jeton

Erstaunlich, was Du zu so einem unscheinbaren Jeton alles in Erfahrung bringst.
Tolle Informationen, vielen Dank.

Ginkgo

Autor:  KarlAntonMartini [ 5. Mai 2012, 20:11 ]
Betreff des Beitrags:  Re: Ein auf den ersten Blick langweiliger britischer Jeton

Solche Jetons dienten dem Spieltrieb, als Einsatz für Kartenspiele etc. Es ist anzunehmen, daß sie von den Spielern auch als KLeingeldersatz verwandt wurden bzw. zum Einsatz von Kleinstbeträgen, die dann erst am Ende des Spieles in richtigem Geld ausgedrückt wurden. Ich kenne das noch, daß zB Rommé um ein Zehntelpfennig den Punkt gespielt wurde. Ja, was man sich so alles einfallen lassen mußte ohne Elektronik ;-)

Nun war bei den Briten um 1850 ja der Wohlstand am Ausbrechen, das Goldpfund "stieg" in dem Sinn, daß Waren aufgrund Massenproduktion und günstiger Importe preiswerter wurden und im Handel ein Preiswettbewerb einsetzte. Der Bedarf an Farthingtoken stieg und staatlicherseits setzte man die eigentlich nur für die Kolonien gedachten Kleinnominale zu 1 1/2 Pence und 1/2 Farthing auch im Mutterland in Kurs. Gleichzeitig wurde der Ruf nach praktischerem, kleineren Münzgeld laut. Joseph Moore aus Birmingham ferigte ab ca. 1848 eine Serie von Model-Coins, die solche Kleinmünzen popularisieren sollten. Die bimetallischen Halfpennies und Pennies gehören dazu. Er prägte dann auch Modelle von Farthing-Teilstücken, die reichlich Abnahme fanden, nämlich 1/2, 1/4, 1/8 und 1/16 Farthing. Es soll auch 1/32 gegeben haben, aber die beiden einzigen je gesehenen Stücke aus der Sammlung von Batty sind nach dessen Tod spurlos verschwunden. Auch die 16el gelten als sehr selten, obwohl es mehrere Stempelvarianten gibt, die eine nicht so ganz kleine Auflage vermuten lassen. Aber die knapp 7 mm "großen" Stücke verschwinden halt leicht zwischen Dielenfugen etc.
So ein Stück konnte ich jetzt endlich erhalten:

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Sechzehntel1.jpg
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Dateikommentar: Token zu 1/16el Farthing, Jos. Moore, Birmingham 1848, Mitchiner -, Rogers 222.
Sechzehntel2.jpg
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Autor:  KarlAntonMartini [ 18. Jun 2012, 18:41 ]
Betreff des Beitrags:  Re: Ein auf den ersten Blick langweiliger britischer Jeton

Eigentlich hielt ich das Stück für langweilig, wollte aber schon lange ein Belegstück für diese Art von Werbemarken haben. Die Fa. J.R. Gaunt & Sons produzierte sie zwischen etwa 1905 und 1935 indem ein kursgültiger Farthing in einen Ring aus Aluminium gepreßt wurde. Dieses Exemplar wirbt für "Hooper Struve's" Mineral Water". Eine Recherche nach dieser Firma brachte zutage, daß sie auf eine Gründung eines Dresdner Apothekers zurückgeht. Dieser Friedrich Adolf August Struve (1781-1840) hatte als Inhaber der Salomonis-Apotheke am Neumarkt (gerade wiederaufgebaut) eine Methode erfunden, künstliches Mineralwasser herzustellen. Das Produkt lief hervorragend und Struve wurde reich. Er gründete in ganz Europa Mineralwasseranstalten, die einen Kurbetrieb für wohlhabende Kundschaft veranstalteten. In Brighton eröffnete er 1818 das Royal German Spa im Queen's Park unter dem Patronat von Königin Adelaide (geb. v. Sachsen-Meiningen), so konnten die Brightoner, die kein natürliches Mineralwasser hatten, endlich gegen Bath anstinken. Als die Wasserkuren aus der Mode kamen, begann man 1886 das Wasser in Flaschen zu füllen und zu verkaufen. Dafür wurde 1900 die Fa. Hooper Struve Ltd. gegründet, die bis 1960 das Wasser abfüllte, sie steht noch heute im Handelsregister. Das Dresdner Wasser wurde bis 1969 produziert. Das Erbbegräbnis der Familie Struve auf dem Trinitatisfriedhof ist noch erhalten. Ach ja, es soll nicht unterschlagen werden, daß Struve einen Teil seiner Lehrzeit in Wien verbracht hatte. ;) Grüße, KarlAntonMartini

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Autor:  Klosterschueler [ 18. Jun 2012, 19:02 ]
Betreff des Beitrags:  Re: Ein auf den ersten Blick langweiliger britischer Jeton

KarlAntonMartini hat geschrieben:
es soll nicht unterschlagen werden, daß Struve einen Teil seiner Lehrzeit in Wien verbracht hatte.

Sehr löblich ;-)
Olaf

Autor:  KarlAntonMartini [ 9. Jul 2012, 16:30 ]
Betreff des Beitrags:  Re: Ein auf den ersten Blick langweiliger britischer Jeton

Das soll ein britischer Token sein? Ein Papst, Wappen und eine lateinische Umschrift. Aber da stimmt einiges nicht. (Ach ja, weil es schlecht leserlich ist: der Papst ist Clemens XV.) Viel Vergnügen, KarlAntonMartini

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Autor:  klaupo [ 9. Jul 2012, 20:09 ]
Betreff des Beitrags:  Re: Ein auf den ersten Blick langweiliger britischer Jeton

Ich hab zwar herausgefunden, woher das Teil kommt und daß es sich um eine Satire handeln soll, aber das Ereignis, das dieser satirischen Darstellung zugrunde liegen könnte, habe ich nicht entschlüsseln können. Den lateinischen Spruch gibt es anscheinend auch auf einer schottischen Krönungsmedaille, aber die Herkunft dieses Token liegt ja weiter im Westen.

Gruß klaupo

Autor:  KarlAntonMartini [ 9. Jul 2012, 20:45 ]
Betreff des Beitrags:  Re: Ein auf den ersten Blick langweiliger britischer Jeton

klaupo hat geschrieben:
Ich hab zwar herausgefunden, woher das Teil kommt und daß es sich um eine Satire handeln soll, aber das Ereignis, das dieser satirischen Darstellung zugrunde liegen könnte, habe ich nicht entschlüsseln können. Den lateinischen Spruch gibt es anscheinend auch auf einer schottischen Krönungsmedaille, aber die Herkunft dieses Token liegt ja weiter im Westen.

Gruß klaupo


Ja. Der Spruch kommt erstmals auf einer Medaille anläßlich der Krönung Charles I. Stuart als König von Schottland vor. Dort bezieht er sich auf das Bild einer mit einer Rose verzwirbelten Distel und verweist auf die gemeinsame Herkunft des Königshauses. Wenn dieser Bezug hier ernst gemeint ist, müßten die Wappen eine Bedeutung haben. Da rätsle ich noch. Einen Clemens XV. gabs nie. 1799 stand allerdings eine Papstwahl an, die lagebedingt in Venedig stattfand. Und der Kaiser verbot sich zwei ernstzunehmende Kandidaten. Der schließlich gewählte nahm nicht den Namen Clemens XV. an, sondern Pius VII., er wurde mit einer Pappmaché-Tiara gekrönt (die echte hatten die Franzosen in Beschlag) und beteilgte sich an der Kontinentalsperre. Das ist so etwa der Hintergrund, auf dem die Darstellung entstanden ist. 1799 könnte als Entstehungsjahr des Tokens noch hinkommen, aber sicher bin ich mir da nicht.

Autor:  klaupo [ 9. Jul 2012, 21:23 ]
Betreff des Beitrags:  Re: Ein auf den ersten Blick langweiliger britischer Jeton

Das karikierte Papstportrait mit der markanten Nase kommt dem originalen Pius VII. recht nah. Die drei Köpfe im Wappen unten links auf dem Token finden sich in anderer Anordnung ebenfalls in seinem Wappen wieder, dort allerdings anders gestaffelt. Möglicherweise sind die von dir genannten anderen Kandidaten ebenfalls in verfremdeten Wappen dargestellt, dann bliebe nur noch das vierte Wappen offen?

Gruß klaupo

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1799_Med_Pius-7_Kombi.jpg
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